Am 24. November 2020 fand in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften das hybride 2. Symposium Ingenieurbaukunst – Design for Construction (IngD4C #2) unter dem Motto „Klimaschutz, Ressourceneffizienz und wie weiter?“ statt, das auf Diskurs und Projekten des neuen Jahrbuchs Ingenieurbaukunst 2021 beruht. Der Initiator und Moderator des Symposiums Dr. Bernhard Hauke (Ernst & Sohn) hielt fest, dass Wissenschaft und Baukunst das Handwerkszeug der Bauingenieurinnen sind, nachhaltiges Bauen aber das übergeordnete, gemeinsame Ziel sein muss (Bild 1). IngD4C möchte diskutieren, was heute schon möglich ist und wohin uns zukünftige Entwicklungen führen. Prof. Lamia Messari-Becker (Uni Siegen, Club of Rome) forderte entsprechend zum Auftakt mehr Materialeffizienz, Kreislaufwirtschaft und eine Anpassung der Baunormen.
Effiziente Strukturmorphologie oder Freiform
Im ersten Themenschwerpunkt „Effiziente Strukturmorphologie oder Freiform“ stellte Prof. Jan Knippers (Uni Stuttgart) mit den BUGA-Pavillons Heilbronn eine Holzbauweise ohne Stahlbauverbindungen vor, welche auf den Geschoßbau übertragen werden soll. Auch mit gewickelten Carbonfaser-Elementen können beanspruchungsgenaue Strukturen gebaut werden. Ganz anders war die Aufgabenstellung beim Axel-Springer-Neubau in Berlin. Bernd von Seht (Wetzel & von Seht) erläuterte die anspruchsvolle Tragwerksplanung. Anschließend wurde in der Diskussion mit Prof. Mike Schlaich (TU Berlin) festgehalten, dass langfristig flexibel nutzbare Bauwerke durchaus nachhaltig sein können (Bild 2). Aktuell führe kaum ein Weg am CO2-neutralen Holz vorbei, aber auch zum Beispiel dünnwandige Bauteile aus Carbonbeton können ein Lösungsbeitrag sein.
Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung
Beim zweiten Themenschwerpunkt „Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung“ ging es insbesondere um die Ausrichtung der Lehre, um den Erfordernissen der Baupraxis gerecht zu werden. Prof. Lucio Blandini (Uni Stuttgart) argumentierte, dass Leichtbau und Funktionsbündelung zu Ressourcenschonung führen und dies mit parametrischem Engineering sowie durch die Digitalisierung der Wertschöpfungskette gelingen kann. Online ergänzte Prof. Christian Hartz (TU Dortmund), dass wie beim Dortmunder Modell aktives Lernen dem „Bulimie-Lernen“ vorzuziehen ist, um so interdisziplinär innovative Lösungen finden zu können. Prof. Julian Lienhard (Uni Kassel) sagte, dass die Generation Greta die drängenden Fragen bereits mitbringt und Lösungswege lernen will (Bild 3). Neben der klassischen Tragsicherheit muss entsprechend auch die Ökoeffizienz mitgedacht werden. Dr. Dietmar H. Maier (Ingenieurgruppe Bauen) zeigte ebenfalls online anhand der hocheffizienten Ertüchtigung der Rheinbrücke Maxau die Lösungsrelevanz von grundlegendem Ingenieurswissen auf, betonte aber ebenso ganzheitliches Denken. In die gleiche Kerbe schlug Prof. Stefan Polonyi, der als einer der Begründer des „Dortmunder Modells“ online hinzufügte, dass während des Studiums Zusammenarbeit und Ingenieurdenken gepflegt werden müssen. Nur mit der Anwendung genormter Ansätze werden kaum neue Lösungen erreicht. Der Brückenbauingenieur Dr. Thomas Klähne (KLÄHNE BUNG) beschwor die Wichtigkeit eines grundlegenden mechanischen Verständnisses, wünschte sich aber auch mehr Verständnis für Konstruktion und Ausführung bei jungen Ingenieurinnen.
LowTech vs. HighTech?
Nach einer Kommunikationspause der wenigen Referenten und Diskutanten vor Ort bei sonnigem Herbstwetter auf der Dachterrasse mit Blick auf das Berliner Schloss (Bild 4) ging es weiter mit der Frage, ob LowTech die Steigerung von HighTech sei. Prof. Thomas Auer (TU München) startete mit der Betrachtung verschiedener Bauweisen historischer und moderner Schulbauten. Eine 100 Jahre alte Münchener Schule mit hohen Räumen und dicken Mauern schnitt deutlich robuster als manches moderne Bauwerk ab. Er schloss mit der Feststellung, dass nicht alles, was in Sachen Klimaengineering technisch möglich am Ende auch wirklich sinnvoll ist. Prof. Thorsten Helbig (Knippers Helbig) zeigt mit der Alnatura Arbeitswelt einen modernen Bürobau mit viel Holz und insbesondere selbsttragenden Lehmaußenwänden. Auch schlug er einen Wettbewerb der Tragwerksplaner um möglichst geringe CO2-Emissionen der Tragstrukturen vor. Uwe Heiland (SEH Engineering), der zum Beispiel anspruchsvolle Brücken baut, gab zu bedenken, dass Nutzerfreundlichkeit und Gestaltung ebenso den Wert einer Konstruktion für die Gesellschaft mitbestimmen. Prof. Christoph Gengnagel (Bollinger+Grohmann) resümierte, dass es nicht das eine richtige Material gebe. Dafür sind die Bauaufgaben zu verschieden, oft auch zu komplex. Aber es müssen die jeweils richtigen Fragen gestellt werden (Bild 5).
Siegeszug hochfester Hölzer
Klimaschutz, Ressourceneffizienz und wie weiter?
Bei der Schlussdiskussion geht es dann konkludierend um „Klimaschutz, Ressourceneffizienz und wie weiter?“ Prof. Werner Sobek (Uni Stuttgart) fordert online eine Trendwende: mit weniger Material für mehr Menschen günstig und emissionsfrei zu bauen. Prof. Lamia Messari-Becker stellt ebenfalls online klar, dass Holz alleine nicht ausreicht, alle Baumaterialien gebraucht werden, aber die Methoden zu hinterfragen sind. Der Vorsitzende der Bundesstiftung Baukultur Reiner Nagel sagt, dass zum Beispiel die BUGA-Pavillons die erforderlichen technischen und gestalterischen Vorbilder für Innovation sind und gleichzeitig der Wert des Bestandes wahrgenommen werden muss. Eva Hinkers (Arup Europa) wirft online ein, dass Effizienzsteigerung alleine nicht zum Ziel führt, aber mehr Kreislaufwirtschaft eine Lösung sein kann. Werner Sobek resümiert, dass noch nicht alle Fragen hinreichend beantwortet werden können; wir als Industrieländer aber eine erhebliche Verantwortung und Vorbildfunktion für nachhaltiges Bauen weltweit haben. Dies aufgreifend fordert Lamia Messari-Becker, dass Ingenieure, Architekten, Bauwirtschaft, Verbände und Politik gemeinsam handeln und Lösungen finden müssen (Bild 7).
Bernhard Hauke ruft zum Abschluss die Bauschaffenden auf, die evidente Aufgabe einer Bauwende gemeinsam anzugehen. Für den 23. November 2021 kündigt er das 3. Symposium Ingenieurbaukunst – Design for Construction (IngD4C #3) in Darmstadt an. Tentative Themenschwerpunkte, basierend auf dem Jahrbuch Ingenieurbaukunst 2022, sollen dann Kreislaufwirtschaft und Bestandsbau sein. Weitere Informationen zu Symposium und Jahrbuch Ingenieurbaukunst finden Sie hier auf ingd4c.org.