Ein Gebäude kann schweben

Ein Gebäude kann schweben

Angelika Schmid, Werner Sobek Stuttgart
Angelika Schmid (Werner Sobek Stuttgart)

„Das Gebäude scheint tatsächlich zu schweben. Es ist schön, maßgeblich zu einem solchen Ergebnis beigetragen zu haben!“ sagt Projektleiterin Angelika Schmid vom Tragwerksplanungsbüro Werner Sobek Stuttgart über die anspruchsvolle Planung der adidas Arena in Herzogenaurach – ein Gebäude, das mehr als 12 m über dem Erdboden zu schweben scheint. Für das Jahrbuch Ingenieurbaukunst 2020 hat Angelika Schmid zusammen mit Roland Bechmann einen Beitrag zur adidas Arena verfasst.

Bernhard Hauke hat mit Angelika Schmid über die adidas Arena gesprochen:

Wie eng waren Tragwerksentwurf und Architekturentwurf miteinander verknüpft?

Der Entwurf von Behnisch Architekten ging aus einem Wettbewerbsverfahren hervor. Der Bauherr hat dann in einem Vergabeverfahren Werner Sobek als Tragwerksplaner für die Umsetzung ausgewählt. Die Zusammenarbeit mit Architekten, Bauherrn und anderen Fachplanern war freundschaftlich und intensiv. Wesentliche Ideen des Entwurfs waren Leichtigkeit und Transparenz sowie eine größtmögliche Flexibilität bei der Gestaltung der Innenräume – für uns galt es, durch die Tragwerksplanung eine angemessene Umsetzung dieser Ziele zu ermöglichen.

Was ist das Grundkonzept des Tragwerkes?

Auf Diagonalen oder aussteifende Wände sollte verzichtet werden, um eine möglichst flexible Nutzung des Innenraums zu gewährleisten. Die Vierendeelrahmen im Obergeschoss orientieren sich am Fassadenraster; die Lage der V-Stützen musste dem angepasst werden. Die Lichthöfe bringen Helligkeit und Leichtigkeit ins Gebäude – sind aber natürlich weitere Herausforderungen für die Tragwerksplanung.

Wie wird ein so leichtes, nachgiebiges Tragwerk optimiert?

Wichtigste Randbedingung war für uns eine Minimierung des Materialverbrauchs – gekoppelt mit einer Minimierung der Verformungen entlang der Fassaden; dies haben wir durch zahlreiche Iterationsschritte und eine entsprechende Ausarbeitung unseres FE-Modells erreicht. Unsere Optimierung erstreckte sich aber auch auf andere Aspekte wie die sichtbaren Detailpunkte, zum Beispiel die Trägeranschlüsse im Obergeschoss. Köpfe und Füße der V-Stützen sollten (wie schon in vielen anderen unserer Projekte) kugelförmig ausgeführt werden. Über diese ästhetisch sehr überzeugende Lösung haben wir mit dem Prüfingenieur intensiv diskutiert, z.B. zur Grenzwertbetrachtung der Rotationsfähigkeit. Aus Kostengründen wurden dann aber doch Kopfplatten mit Absetzringen eingesetzt. Diese übertragen die Stützennormalkräfte beim Ablassen des Überbaus auf die V-Stützen, entziehen sich infolge plastischer Verformung aber der Zusatzbeanspruchung durch Exzentrizitätsmomente infolge Winkelverdrehung.

Die Hauptträger des Obergeschosses sind 1,5 Meter hoch sowie mit Öffnungen und Absenkungen versehen. Wie war hier der Bemessungsvorgang?

Dies war die zweite Phase der Optimierung: Herausforderung war es hierbei, die Haustechnik so in das Tragwerk zu integrieren, dass die architektonisch vorgegebenen Höhen des Zwischengeschosses und der Obergeschosse eingehalten wurden. Hierfür wurde jeder Trägertyp in seiner äußeren Geometrie in FE modelliert, mit der ersten Eigenform vorverformt und mit den maßgebenden Schnittgrößenkombinationen nach der Theorie II. Ordnung nachgewiesen. Auf diese Weise wurden auch die Blechstärken der Schweißträger optimiert. Maßgebend war in der Regel die Beulsicherheit. Varianten mit noch kompakteren Trägern hätten zu einem wesentlich höheren Stahlverbrauch geführt und wurden deshalb verworfen.  Die Lage der Montagestöße richtete sich nach den statischen Anforderungen; die Stöße wurden in der Nähe der Momentennullpunkte sowie nach technisch sinnvollen Transport- und Montagegewichten angeordnet.

Die zentrale Foyertreppe als skulpturales Gestaltungselement ist nahezu stützenfrei. Wie wurde hier die Gebrauchstauglichkeit sichergestellt?

Die Treppe sollte auf Wunsch der Architekten möglichst weit spannen und einen ungehinderten Blick ins Atrium ermöglichen. Gleichzeitig musste sichergestellt werden, dass es bei einer Nutzung durch viele Personen nicht zu ungewollten Schwingungen kommt. Wir haben deshalb ein Brückengeländer in Glas ausgeführt – dies ermöglicht die gewünschte Transparenz. Das andere Geländer liefert als tragendes Fachwerk die erforderliche Steifigkeit. So ist sichergestellt, dass die Grenzwerte nach Bachmann eingehalten werden. In kritischen Bereichen wurden zur Sicherheit dennoch rechnerische Reserven für eine Nachrüstung von Schwingungstilgern vorgehalten; so kann bei Bedarf immer reagiert werden. Die Treppe ist am Boden des Erdgeschosses sowie an den beiden Austritten im 1.OG gelenkig gelagert. Die beiden Zwischenpodeste sind seitlich im Stahlbetonkern des Gebäudes eingespannt. Damit betragen die Spannweiten vom Podest zu den Austritten jeweils circa. 15 Meter. Außerdem ist die Foyertreppe keine Fluchttreppe. Sie hat vielmehr einen skulpturalen Charakter und soll z.B. als Plattform für Events genutzt werden.  

Wie war das mit dem Brandschutz?

Das Brandschutzkonzept sah für die Obergeschosse einen F90 Brandschutzanstrich vor. Die Schichtdicke dieses Anstrichs wurde in Abhängigkeit von der Spannungsausnutzung der Träger optimiert. Bei den Nebenträgern der Verbunddeckenfelder konnte sogar gänzlich auf einen Brandschutzanstrich verzichtet werden.  Norbert Sauerborn von s+v hat hier zur Einsparung von Brandschutzbeschichtungen eine Bemessung im Brandfall auf Basis der Membrantheorie vorgenommen.

Die V-Stützen wurden in Verbund ausgeführt?

Ursprünglich waren vorgefertigte Schleuderbetonstützen (mit Vorteilen beim Brandschutz) mit Endplatten aus Stahl vorgesehen. Die Arge aus Züblin Stahlbau und s+v hat dann Verbundstützen eingeplant – mit der Idee, die leichten Stahlrohre erst im montierten Zustand zu betonieren. Aufgrund des schließlich gewählten Bauablaufes musste dann doch bereits im Werk betoniert werden.

Die Montage war sicher ein Knackpunkt?

Eine frühzeitige Einbindung von und Zusammenarbeit mit den ausführenden Firmen war wichtig und sinnvoll, nicht zuletzt wegen des abzustimmenden Bauablaufs für die schwebenden Obergeschosse. Nach der Ausschreibung wurden verschiedene Montagekonzepte vorgeschlagen, vom Lehrgerüst für die Obergeschosse bis zum kompletten Hub. Das Konzept von Züblin sah vor, das 1. und Teile des 2. Obergeschosses auf 2 m hohen, temporären Stützen zu montieren und dann mit 76 Pressen anzuheben. Anschließend wurden die bereits ausbetonierten V-Stützen daruntergesetzt und die weiteren Geschosse montiert. Dieses Konzept wurde von uns in einem Bauphasenmodell nachgebildet. Die Auswirkungen von Toleranzen und Temperaturlasten auf die Stützen wurden hierbei berücksichtigt (Kriechen und Schwinden waren nicht maßgebend, da in den Decken Schwindgassen vorhanden waren). Zusatzbelastungen im Bauzustand wurden durch temporäre Verstärkungen aufgenommen.

Das ist alles sehr anspruchsvoll. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis?

Natürlich stellte uns dieses Projekt immer wieder vor die verschiedensten Herausforderungen. Das schöne Ergebnis lässt aber all diese Anstrengungen schnell vergessen. Das nicht zuletzt dank unserem Engineering erzielte Ergebnis entspricht der Vision von Architekt und Bauherr: Das Gebäude scheint tatsächlich zu schweben. Es ist schön, maßgeblich zu einem solchen Ergebnis beigetragen zu haben! Die Architekten haben unsere Ideen immer unterstützt, wie zum Beispiel bei den Kugelköpfen der V-Stützen – und wir haben den Architekten geholfen, ihre Vorstellungen gebaute Wirklichkeit werden zu lassen. Wichtig hierfür war natürlich auch die – im besten Sinne des Wortes konstruktive – Zusammenarbeit mit den Stahlbauern.

Angelika Schmid (43) absolvierte von 1995 bis 2002 ein Bauingenieurstudium an der Universität Stuttgart. Seit 2002 ist sie Projektleiterin bei Werner Sobek Stuttgart und seit 2013 dort auch Prokuristin.