Der Seehafen Turkmenbashi ist das größte Hafenbauprojekt Zentralasiens. Bernhard Hauke hat mit Tobias Günzl, Projektleiter dieses Vorhabens sowie Leiter des Fachbereichs Wasserbau bei Inros Lackner in Rostock, über die technischen Herausforderungen der Planung gesprochen.
Die Planung erfolgte nach dem „Green Port“-Standard. Was bedeutet das konkret für die Umwelt, aber auch für die Planung und Ausführung?
Die Planung und den Bau begleiteten umfangreiche Ausgleichsmaßnahmen. Kernstück dieser Maßnahmen war die Schaffung einer mehrere Quadratkilometer großen künstlichen Insel als Vogelschutz- und Amphibienhabitat mit Flachwasserzonen. Für den Hafenbetrieb selbst wurde eine Summe einzelner Emissionsminderungsmaßnahmen umgesetzt. Beispielsweise verfügen sämtliche Krananlagen über mobile Stromversorgungsanschlüsse.
Nach welchen Normen erfolgte das Basic Design? Und welchen konkreten Einfluss und welche Kontrolle gab es anschließend bei der lokalen Ausführungsplanung und der Bauausführung?
Dem Auftraggeber war die Umsetzung „internationaler Standards“ sehr wichtig. Technisch haben wir daher das Basic Design nach Eurocode, DIN und British Standards geplant. Natürlich gelten in Turkmenistan lokale Standards, die meistens – historisch bedingt – auf den russischen SNIP-Regeln beruhen. Diese wurden als Mindeststandards vereinbart. Im Rahmen der Ausführungsplanung wurden sämtliche Pläne durch Inros Lackner sowie einen unabhängigen Zertifizierer auf die Einhaltung der Ausschreibungskriterien des Basic Designs geprüft und freigegeben. Um eine entsprechende bauliche Umsetzung zu garantieren, haben wir mit einem mehrköpfigen Team aus Deutschland die gesamte Bauzeit und aktuell die Garantiezeit überwacht.
Wie waren die Gründungsbedingungen insbesondere für den schweren Industriebau?
Sämtliche Gebäude in dem Vorhaben wurden tief gegründet. Das war notwendig, weil das gesamte Design die extremen Erdbebenlasten berücksichtigen musste. Wir haben im Rahmen der Baugrunduntersuchungen festgestellt, dass unmittelbar landseitig des Hafens eine aktive Erdspalte existiert. Solche Erdbeschleunigungen in einem der geologisch aktivsten Gebiete der Welt sind eine unglaubliche Herausforderung.
Was waren die wichtigsten technischen Themen im Bereich der Kaianlagen?
Eindeutig die Herstellung der Tiefgründung. Aufgrund der Erdbebenlasten mussten hier Stahlrohre mit bis zu 60 Meter Länge nach Turkmenistan geliefert und eingerammt werden. Für eine ca. 2 Kilometer lange Kaianlage mit alleine etwa 1.800 Einzelpfählen nur für die eigentliche Kaianlage hat die Baufirma eine logistische Meisterleistung erbracht.
Insbesondere die Werfthallen spannen über 80 Meter weit. Wie wurden die verfügbaren Stahlgüten, Profilgrößen oder Fertigungskapazitäten bei der Planung berücksichtigt?
Bei der Planung des Hafens war von vornherein klar, dass die Baumaterialien nicht aus dem turkmenischen Markt gedeckt werden können. Dies beginnt bei dem zur Verfügung stehenden Stahl und endet bei der IT-Ausrüstung des Hafens. Die konstruktiven Hochbauteile wurden daher importiert, vor allem aus der Türkei, Russland und Aserbaidschan.
Bei der Architektur gibt es immer auch lokale Traditionen und Vorlieben zu berücksichtigen. Wie funktioniert das in Turkmenistan?
Das ist eine sehr wichtige Komponente. Die traditionelle europäische Architektur ist in Turkmenistan nicht sehr beliebt. Dagegen sind nationale Symbole und die turkmenische Flagge wichtige Stilelemente, nach denen sich die lokale Architektur ausrichtet. Bei der Gestaltung von Fassaden werden z. B. gerne weißer Marmor und goldene Verzierungen kombiniert. Darüber hinaus entsprechen symmetrische Gebäudeformen sehr den turkmenischen Vorlieben. Projekte in solcher Größenordnung werden grundsätzlich von höchster Regierungsstelle begleitet. Es gab mehrere Gestaltungsvorschläge zu den Hauptgebäuden, die Auswahl der Vorzugslösung erfolgte durch den Präsidenten.
Zusammengefasst, was waren rückblickend die größten Herausforderungen?
Für mich selbst waren es zwei wesentliche Herausforderungen. Erstens: Ein Projekt in der Realisierungsgröße von 1,5 Mrd. USD ist alles andere als alltäglich. Dieses technisch anspruchsvolle Vorhaben über mehrere Jahre begleiten zu dürfen, ist sicher ein Höhepunkt meiner Ingenieurtätigkeit. Zweitens: Die Auseinandersetzung mit und die Akzeptanz der unterschiedlichen sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen waren herausfordernd und bereichernd zugleich. Die Auftraggeber denken anders, die Baufirma aus der Türkei agiert anders. Ein Projekterfolg stellt sich nur ein, wenn die unterschiedlichen Kulturen sich auch aufeinander einlassen. Das haben wir geschafft und ich habe höchste Anerkennung vor der Leistung der Baufirma aus Istanbul, die teilweise mehr als 10.000 Arbeiter auf der Baustelle beschäftigte.
Tobias Günzl ist Projektleiter und Fachbereichsleiter Wasserbau bei INROS LACKNER SE in Rostock.
Mehr dazu im Jahrbuch Ingenieurbaukunst 2021: www.ernst-und-sohn.de/ingenieurbaukunst-2021 • Eine neue Verkehrsdrehscheibe zwischen Asien und Europa – Der internationale Seehafen Turkmenbashi. Tobias Günzl, Martin Göricke
Mitdiskutieren: 3. Symposium Ingenieurbaukunst - Design for Construction 2021 am 18. November 2021 in Frankfurt/M. Wie bauen wir zirkulär? Info und Anmeldung: www.ingd4c.org