Der urbane Holzbau erlebt eine Renaissance mit vielen technischen Innovationen. Der Geschoßwohnbau Walden 48 mitten in Berlin glänzt hier sowohl bei der Tragwerksplanung als auch beim Brandschutz. Bernhard Hauke sprach mit Michael Kühl, Partner Ingenieurbüro frohloff staffa kühl ecker, dena Energieberater sowie Sachverständiger für Betonsanierung, und Reinhard Eberl-Pacan ist freischaffender Architekt, Büroinhaber sowie Planer und Sachverständiger für den vorbeugenden Brandschutz in Berlin.
Was hat Thoreaus Blockhaus in den Wäldern Massachusetts von 1845 außer dem Baustoff Holz gemeinsam mit dem modernen Walden 48?
Michael Kühl: Als wir 2014 mit der Planung starteten, war das Thema mehrgeschossiger, urbaner Holzbau noch ein Außenseiterthema. Es war also ein bewusster Schritt der Bauherrenschaft und der Planer für ein nachhaltiges Bauen und Leben. Technisch, also im Hinblick auf Schall- Wärme- Brandschutz und die technische Gebäudeausrüstung trennen die einfache Blockhütte und den modernen Holzneubau natürlich Welten.
Was bedeutete das für den Entwurf und insbesondere die Tragwerksplanung?
MK: Wenn sich Menschen zu einer Baugruppe zusammenschließen, gibt es neben dem Wunsch nach der eigenen Immobilie auch immer dieses Extra der Gemeinschaft. Es werden also nicht nur Wohnungen geplant, sondern darüber hinaus Flächen für alle wie Gemeinschafträume, Dachterrassen für alle etc. Thoreau‘s Frage, „Wie wollen wir leben“ wird damit also etwas anders beantwortet als im Einfamilienhaus am Stadtrand. Die Tragwerksplanung musste dann auf diese Besonderheiten insbesondere in den unteren Geschossen natürlich reagieren.
Wo lagen die besonderen Herausforderungen bei der Umsetzung?
MK: Die Herausforderungen in der Tragwerksplanung waren die straßenseitigen Auskragungen der Wandschotten und die Abfangungen über den Gemeinschaftsräumen im Erdgeschoß. Das haben wir mit wandartigen Trägern und hoch belasteten Baubuche-Stützen gelöst. Darüber hinaus erfordert der Holzbau eine enge Zusammenarbeit aller Planer, da in jedem Knotenpunkt neben der Statik auch Schall- und Brandschutzanforderungen zu bedenken sind. Im Bereich der Außenwand kommen dann noch die Themen Wärme- und Feuchteschutz bzw. Luftdichtigkeit dazu. Insgesamt eine sehr detailintensive Arbeit.
Geschoßwohnungsbau und ungeschütztes Holz sind bisher keine Selbstverständlichkeit. Wie funktioniert das konkret?
Reinhard Eberl-Pacan: Holz ist das beste Material, das man für Brandschutz verwenden kann. Diese Erkenntnis ist aus den Köpfen vieler Architekten und Brandschutzexperten leider verschwunden und man gewinnt sie erst wieder, wenn man sich jahrelang mit dem Thema beschäftigt hat. Durch den sogenannten Abbrand hilft Holz sich im Brandfall selbst und bleibt über genau berechenbare Zeiträume tragfähig und schützt Gebäude vor der Ausbreitung des Brandes.
Ist das auf andere Holzbauten einfach übertragbar?
R. E.-P.: Im Prinzip ja. Jedes Gebäude ist zwar noch immer ein Unikat und erfordert spezielle Betrachtungen zum Brandschutz. Diese haben aber meistens nichts mit dem Baustoff Holz zu tun, sondern mit anderen Besonderheiten des Gebäudes. So spielt die Größe und insbesondere die Höhe von Gebäuden bei den Anforderungen an den Brandschutz eine wichtige Rolle, d.h. diese steigen bei höheren Gebäuden. Leider darf derzeit Holz als brennbarer Baustoff baurechtlich nur bei vergleichsweise niedrigen Gebäuden mit kleinen Nutzungseinheiten bis Gebäudeklasse 4 verwendet werden. Urbane Holzbauten stellen daher immer noch eine „Abweichung“ vom Baurecht dar, die reichlich Überzeugungsarbeit bei vielen Beteiligten erfordert.
MK: Und der Markt muss sich natürlich noch auf den Baustoff Holz einstellen. Ich denke hier z.B. an die horizontale Schottung der Schächte im Deckenbereich. Unsere Planung liegt ja schon einige Jahre zurück und viele Zulassungen für Brandschotts galten seinerzeit nur für Betondecken. Die 15 Zentimeter dicke Betonschicht unserer Holzbetonverbunddecke resultiert u.a. aus den Anforderungen der TGA-Planer. Aber hier haben die Hersteller reagiert und mittlerweile gibt es diverse Produkte am Markt.
Die wandartige Träger wurden, bisher ungewöhnlich, in Holz ausgeführt. Rückblickend, wie hat sich das bewährt?
MK: Auf jeden Fall! Die wandartigen Träger sind im Holzbau wirklich bemerkenswert. Möglich wird das durch die „Erfindung“ des Brettsperrholzes (BSPH oder CLT) Anfang der 2000er Jahre. Im Holzbau ist der Lastabtrag der Balken und Platten ansonsten immer einachsig. Mit dem BSPH und seinen kreuzweise verleimten Brettlagen ist es nun möglich Lasten zweiachsig abtragen. Nur so können Wände als wandartige Träger ausgebildet werden. Ein weiteres, spannendes Thema sind punktgestütze Flachdecken, also unterzugsfreie Decken mit zweiseitigem Lastabtrag. Hier laufen diverse Forschungsarbeiten und es gibt erste Patente aus der Schweiz. All diese Bauweisen werden seit Jahren im Stahlbetonbau mit großem Erfolg eingesetzt. Hier holt der Holzbau nun mächtig auf und kommt in Schlagdistanz!
Michael Kühl ist Partner im Ingenieurbüro frohloff staffa kühl ecker, dena Energieberater, Sachverständiger für Betonsanierung und mit Leidenschaft im Holzbau engagiert.
Reinhard Eberl-Pacan ist freischaffender Architekt, Büroinhaber sowie Planer und Sachverständiger für den vorbeugenden Brandschutz in Berlin.
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