Jüdisches Museum Frankfurt/M

Jüdisches Museum Frankfurt/M

Ein neuer alter Ort

Das traditionsreiche Jüdische Museum in Frankfurt am Main wurde grundlegend saniert und um einem Neubau ergänzt. Die Herausforderungen lagen insbesondere in der heterogenen Struktur des Bestandes sowie den kleinen Überraschungen, die bei der Bestandsaufnahme zutage traten.

Das Jüdische Museum wurde von Grund auf erneuert. Wie war die Herangehensweise der Tragwerksplanung?

Katrin Lünser: Hinsichtlich des Umbaus waren zwar erfreulicherweise umfangreiche Bestandsunterlagen vorhanden, aber nur von den 1958 und 1985 bis 1987 umgebauten Teilen. Eine vollständige Bestandsuntersuchung in den frühen Planungsphasen war wegen des noch laufenden Museumsbetriebs nicht möglich, daher haben wir unsere Planung zunächst auf Grundlage der lückenhaften Bestandsunterlagen und vieler Annahmen erstellt. Nach Ende des Museumsbetriebs konnte dann eine Entkernung und Bestandsaufnahme vorgenommen werden, auf deren Basis die Planung aktualisiert und an die Befunde angepasst wurde. Wichtiges Planungsprinzip war der Bestandsschutz, d. h. nur begrenzte statische Eingriffe ohne Änderungen am Gesamttragwerk, um nicht aus baurechtlichen Zwängen heraus das alte Gesamtgebäude nach aktueller Normung nachweisen zu müssen. Das wäre mangels Material- und Konstruktionsdaten sowie angesichts der Inhomogenitäten und neuen Normanforderungen gar nicht möglich gewesen.

Hinsichtlich des Neubaus gab es aufgrund der funktionalen und gestalterischen Anforderungen (kaum rechte Winkel, geneigte Wände, wenige von oben bis zur Gründung durchgehende Stützlinien) schon früh das Erfordernis für räumliche Betrachtungen, die wir mit einem räumlichen BIM-Modell von Anfang an verfolgt haben. Dieses wurde mit zunehmender Planungstiefe sukzessive verfeinert und bis zum Schluss mit vollständig räumlich berechneter Statik und voll 3D-geplanter Bewehrungsführung durchgezogen.

Am Übergang vom Altbau zum Neubau mussten diese beiden Parallelplanungen dann sorgfältig zusammengeführt und aufeinander abgestimmt werden.

Im Bestand, zumal mit so langer Geschichte wie beim Rothschild-Palais, gibt es meist Überraschungen?

Katrin Lünser: In der Tat gab es einige konstruktive Überraschungen. Nur einige Beispiele: So waren vermeintlich sehr dicke Mauerwerkswände teilweise nicht monolithisch-massiv, sondern entpuppten sich als dünne Tragschalen. Eine zunächst rechnerisch völlig überlastet scheinende Mauerwerksstütze stellte sich bei näherer Untersuchung als mit Mauerwerk ummantelte Stahlstütze mit ausreichender Kapazität dar. Ein Deckenfeld hatte einen im Vorfeld unbekannten Brandschaden. Und während des Dachumbaus wurden noch erhebliche, aufwändig zu sanierende Wasserschäden am Dachstuhl festgestellt.

Ein Ort der Vergangenheit, aber doch auch wieder der Gegenwart und Zukunft. Welche Rolle spielt das Heute?

Per Pedersen: Das denkmalgeschützte Rothschild-Palais ist als Zeugnis jüdischen Lebens und erstes kommunales jüdisches Museum in Deutschland von kultureller Bedeutung für die Stadt Frankfurt. Mit der neu konzipierten Dauerausstellung in den Altbauten und dem Erweiterungsbau öffnet sich das Museum nun stärker zur Stadt und kann ein vielfältiges Programm mit Wechselausstellungen und Veranstaltungen, einer Bibliothek und einem Café anbieten. Das Ensemble aus Alt- und Neubau zeugt so einerseits von der Vergangenheit und weist andererseits in die Zukunft.

Insbesondere beim Altbau: Wie vernetzt waren architektonische Idee und Planung mit dem Tragwerk?

Per Pedersen: Unser architektonisches Konzept für den Bestand baut auf den vorhandenen Strukturen und somit auf dem vorhandenen Tragwerk des Gebäudes auf. Der denkmalgeschützte Bestand wurde behutsam modernisiert, ein Aufzug eingebaut und kleinere Eingriffe für die Anbindung des Neubaus und einen Museumsrundgang durch beide Altbauten vorgenommen.

Gab es erforderliche Anpassungen im Laufe der Bauausführung?

Per Pedersen: Architektonisch gab es keine wesentlichen konzeptionellen Änderungen während der Bauzeit.

Katrin Lünser: Tragwerksplanerisch relevant waren hier auch eher Planungsanpassungen im Detail bzw. bei der baulichen Umsetzung. So kamen erst spät Explosions- und Terrorlasten ins Gespräch, die dann u. a. bei der Umbemessung der Bauteile im Eingangsbereich des neuen Museumsbaus berücksichtigt werden mussten. Die ursprünglich in Ortbeton geplante Sichtbetonfassade wurde später dann zusammen mit der Rohbaufirma ausführungstechnisch in eine Halb- und Vollfertigteilbauweise optimiert. Und es mussten, vor allem im Altbau, im Planungsverlauf wiederholte Anpassungen der Haustechnik-Durchbruchsplanungen in die Planung integriert werden.

Rückblickend aus Ingenieurssicht, was waren die größten Herausforderungen?

Katrin Lünser: Im Neubau war es wohl das komplizierte und schiefwinklige Tragsystem in Verbindung mit den hohen Sichtbetonanforderungen, was enorm komplexe Bewehrungsplanungen erforderte. Im Altbau sicherlich der Umgang mit dem sehr heterogenen Bestandstragwerk, das sich in jedem Geschoss und fast jeder Wand anders darstellte und immer wieder neue Lösungsansätze verlangte.

Foto: FotoFunDigital

Katrin Lünser ist Vorständin im Ingenieurbüro Leonhardt, Andrä und Partner.

Foto: Moritz Bernoully

Per Pedersen ist Geschäftsführer von Staab Architekten in Berlin und hat seit 2019 eine Professur für Entwerfen und Bauen im Bestand an der BTU Cottbus-Senftenberg.

Mehr dazu auch im Jahrbuch Ingenieurbaukunst 2022.

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