Bei der Ergänzung des historischen Rathauses in Korbach mit einem Neubau wurden Recyclingzuschläge aus dem rückgebauten Vorgängerbau der 1970er-Jahre gewonnen und für R-Beton von Tragwerk und Fassade verwendet. Urban Mining – so scheint es – ist lokal am effektivsten.
Wie erfolgt bei einem solchen Urban-Mining-Pilotprojekt das Zusammenspiel aus Architektur, Engineering und Bauausführung?
Marc Matzken:Zuallererst über die Begeisterung aller beteiligten Akteure.
Matthias Ernst: Die Zusammenarbeit wurde und wird zukünftig noch mehr durch das Bewusstsein eines nachhaltigen Handelns bei der Planung und Bauausführung geprägt sein. Die Beteiligten haben in ihrem jeweiligen Fachgebiet dazu beigetragen, das gemeinsame Ziel bei diesem Pilotprojekt zu erreichen. Dazu ist insbesondere der ständige Austausch zwischen den einzelnen Fachdisziplinen erforderlich, beispielsweise bei der Planung und Herstellung der Fassadenelemente aus R-Beton: Neben der Gestaltung und den optischen Ansprüchen war eine wesentliche Aufgabe die Entwicklung der Betonrezeptur und die Herstellung der Elemente mit R-Beton.
Inwieweit waren Quantität und Qualität der aus dem Bestand gewinnbaren Recyclingzuschläge abschätzbar und damit für die Planung nutzbar?
ME: Die Voruntersuchungen im Rahmen des Urban-Mining-Konzeptes hatten gezeigt, dass für den Neubau nicht ausreichend Recyclingzuschläge zu generieren waren, sodass in der Planung davon ausgegangen wurde, dass die gewinnbaren Zuschläge vollständig für den Beton des Neubaus verarbeitet werden können. Gab es Überraschungen?
MM: Ja, die gab es, wie beispielsweise durch eine verlorene Schalung mit integrierter Dämmung über dem Stadtverordnetensaal im Bestandsgebäude aus den 70er-Jahren. Hierdurch hat sich die Qualität und die Menge der einsetzbaren rezyklierten Gesteinskörnung reduziert.
Wie hat sich die DAfStB-Richtline „Beton mit rezyklierten Gesteinskörnungen“ in der Praxis bewährt? . ME Die Richtlinie liefert das notwendige Rüstzeug bei der Verwendung von rezyklierten Gesteinskörnungen. Beim Rückbau des Bestandsgebäudes hat sich jedoch gezeigt, dass ein sortenreines Material nicht vollumfänglich erreicht werden konnte. Die Anforderungen an das Recyclingmaterial nach der Richtlinie haben dazu geführt, dass das Rezyklat nicht vollständig für den Beton des Tragwerks und die Fassade des Rathaus-Neubaus verwendet werden konnte.
Gibt es mit den Erfahrungen des Projektes Verbesserungspotenzial?
ME: Aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten im Vorfeld, die Festigkeit des Bestandsbetons zu ermitteln, lagen leider nur teilweise Ergebnisse vor. So konnte auf der sicheren Seite liegend die Bemessung des Stahlbetons für das neue Rathaus nur mit einer Betondruckfestigkeitsklasse C25/30 erfolgen. Bei den weiteren Untersuchungen während der Ausführung hat sich gezeigt, dass auch mit Recyclingmaterial eine höhere Betondruckfestigkeit erreicht werden kann. Verbesserungspotenzial besteht hier in jedem Fall in einer umfassenderen Untersuchung der Druckfestigkeit des Betons des abzubrechenden Gebäudes, um den Beton aus R-Material vorher besser einschätzen zu können.
Wie empfinden die Korbacher ihr neues gebrauchtes Rathaus?
MM: Spätestens bei den Eröffnungsfeierlichkeiten war eine breite Akzeptanz bei allen Korbacher Bürgern und Bürgerinnen zu spüren. Dies hat sicherlich mit einem behutsamen Einfügen in einen kleinmaßstäblichen, historischen Kontext sowie einer nachhaltigen Stadtreparatur zu tun, ebenso aber auch mit dem Umgang mit dem ungeliebten Vorgängerbau aus den 70er-Jahren und dem Überführen in das neue Rathaus. Das Rathaus Korbach gilt als wichtiger Meilenstein beim Beton-Recycling.
ME: Zu Beginn stand das sicherlich nicht im Fokus der Planer, es wurde eher als eine Teilaufgabe wahrgenommen. Die Verwendung von Recyclingmaterial hat im Projektverlauf aber immer mehr an Bedeutung gewonnen. Forschung, Entwicklung und Realisierung bei anderen Projekten sind bestimmt für die Nachhaltigkeit ebenso wichtig. Wenn aber der Neubau Rathaus Korbach dazu beiträgt, dass die Verwendung von Recyclingmaterial bei konstruktiven Stahlbetonbauteilen insgesamt zunimmt, dann ist das in der Tat ein wichtiger Schritt.
Wie wird es weitergehen mit Urban Mining und Recyclingbeton?
MM: Wir hoffen, mit dem Rathaus Korbach einen Beitrag auf zwei unterschiedlichen Ebenen zu leisten. Die eine ist der Umgang und Einsatz von R-Beton, die andere das Potenzial, den Gebäudebestand sowie Neubauten grundsätzlich als urbane Rohstofflager zu verstehen.
ME: Der Umgang mit Bestandsbauten und die Verwendung des Abbruchmaterials werden aufgrund der Ressourcenknappheit zukünftig noch weiter an Bedeutung gewinnen. Für Neubauten muss im Sinne der Nachhaltigkeit bei der Planung und Bauausführung auch ein späterer Rückbau in den Fokus rücken.
Matthias Ernst ist geschäftsführender Gesellschafter des Ingenieurbüros EFG Beratende Ingenieure in Fuldabrück.
Marc Matzken ist Gründer und Partner des Architekturbüros heimspiel architekten in Münster.
Mehr dazu auch im Jahrbuch Ingenieurbaukunst 2023.
Das 4. Symposium Ingenieurbaukunst – Design for Construction 2022 mit dem Thema: Bauen mit und im Bestand findet am 29. November 2022 im Wallraf-Richartz-Museum Köln + Online. Infos und Tickets hier auf www.ingd4c.org