Das Verwaltungsgebäude des Tierparks Berlin aus den 1960er-Jahren sollte bei maximalem Bestanderhalt modernisiert werden. So blieben Skelett und große Teile des Innenausbaus erhalten, die alten Außenwände wurden durch vorgefertigte Holzbauelemente ersetzt.
Zur Entscheidung, ob Ersatzneubau oder Sanierung, wurde eine vergleichende Ökobilanzierung herangezogen?
Ole Busch: Um die Vorteile einer Teilsanierung im Vergleich zu einem Ersatzneubau darzustellen, müssen alle Prozesse berücksichtigt werden, die im Zuge der Rück- und Neubauarbeiten entstehen. Die graue Energie des Bestandsgebäudes, also die Umweltwirkungen, die im ursprünglichen Bau entstanden sind, wurde bei dieser Betrachtung nicht berücksichtigt. Für die geplante Teilsanierung wurden die Umweltwirkungen des Teilrückbaus berechnet und um die Umweltwirkungen der Teilsanierung ergänzt. Für den Vergleich mit Komplettabriss und Ersatzneubau wurden dementsprechend die Auswirkungen des kompletten Rückbaus und eines vollständigen Neubaus berücksichtigt. Um zusätzlich die Vorzüge einer ökologischen Bauweise aufzuzeigen, wurde zusätzlich ein Vergleich hinzugefügt, welche Umweltwirkungen eine Teilsanierung mit konventionellen Maßnahmen verursacht – in diesem Fall wurde ein WDVS mit künstlichen Dämmstoffen simuliert. Für die Ökobilanzen haben wir das Tool „Bauteileditor“ vom BBSR (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung) genutzt, welches auf die Datengrundlagen der Ökobaudat zurückgreift. Diese Daten werden kostenfrei zur Verfügung gestellt und beinhalten Informationen zu den Umweltwirkungen verschiedenster Baumaterialien in ihren Lebensphasen (von der Herstellung über die Instandsetzung bis zum Rückbau). Die Ergebnisse dieser vergleichenden Ökobilanzierung haben deutlich gezeigt, dass durch den Erhalt von Bestandsbauteilen in dieser Größenordnung etwa 60 % der Treibhausgase eingespart werden können (Vergleich Teilsanierung und Ersatzneubau in konventioneller Bauweise). Durch die Teilsanierung in ökologischer Bauweise kann der Ausstoß von Treibhausgasen sogar um fast 97 % im Vergleich zu einem Ersatzneubau in konventioneller Bauweise reduziert werden. Auch im Bereich der Primärenergie konnten so mehr als 75 % eingespart werden.
Wie hoch war der Aufwand für Ökobilanz und Variantenvergleiche?
OB: Mit unserem engen Bürobezug zu Forschung und Lehre sowie unserem ganzheitlichen Architekturverständnis ist die Ökobilanzierung von Gebäuden für uns von großem Interesse und ein wichtiges Tool zur Analyse der bereits gebauten und zukünftigen Umwelt. Innerhalb unseres Teams sind wir fachlich breit aufgestellt und arbeiten in den allermeisten Projekten nicht nur eng mit ausgebildeten Energieberater:innen, sondern auch mit BNB- und DGNB-Berater:nnen zusammen. Die Bilanzierung von Gebäuden ist aus unserer Sicht ein starker Baustein zur Entwurfsentwicklung. Bei einer detaillierten Mengenermittlung und Bestandsaufnahme ist es möglich, eine vergleichende Ökobilanzierung bereits innerhalb weniger Arbeitstage in die Planungsprozesse zu integrieren und Rückschlüsse für die eigene Entwurfsarbeit zu ziehen.
Hatte der Bauherr dies beauftragt und wie schwer oder leicht war es, diesen von der Sanierung zu überzeugen?
OB: Die Ökobilanzierung und der vorgenannte Variantenvergleich spielten eine wichtige Rolle und das Bestreben einer ökologischen, zukunftsweisenden Sanierung war durchaus im Interesse des Auftraggebers. Jedoch waren auch die finanziellen Mittel des Bauherrn eingeschränkt. Durch das Nutzen der vorhandenen Substanz konnte eine Lösung erzielt werden, welche in konventioneller Neubauweise sicherlich auch aus wirtschaftlicher Sicht so nicht umsetzbar gewesen wäre.
Die zukünftige Erweiterbarkeit des Skelettbaus wurde untersucht.
Uwe Seiler: Die vertikal lastabtragenden Bauteile, im Wesentlichen die Stützen, weisen durchaus noch Lastreserven auf. Eine Aufstockung um zwei Geschosse in leichter Holzbauweise wäre aus dieser Sicht denkbar. Problematisch ist dabei die dann erforderliche brandschutztechnische Ertüchtigung der Bestandsbauteile.
Wie wurde mit möglichen Schadstoffen aus der Errichtungszeit umgegangen?
OB: Im Bestand waren zahlreiche Schadstoffe – wie PAK, Asbest, KMF u. v. m. – vorhanden. Um möglichst viel graue Energie und sämtliche charakteristischen, prägnanten Oberflächen und Ausstattungen im Gebäude zu erhalten, entschied man sich jedoch bewusst dazu, einige der Schadstoffe im Gebäude zu belassen, z. B. die PAK-haltige Schüttung im Fußbodenaufbau. In enger Zusammenarbeit mit einer Schadstoffexpertin und Abfallmanagerin – in allen Projektphasen – wurde diese mittels einer speziellen Isolierfolie verkapselt. Die Wirksamkeit wurde vorab in einem Musterraum getestet und nach Abschluss der Gesamtmaßnahme mittels gezielter Messungen belegt. Die Richtwerte wurden sicher eingehalten.
Wie aufwendig waren Demontage der Sandwichelementfassade und Montage der neuen Holzrahmenfassade?
US: Aufgrund der hohen Auslastungen der für die Fassadenaufhängung relevanten Bestandsbauteile wurden Lasterhöhungen durch die neue Fassadenkonstruktion vermieden und es wurden keine Änderungen am ursprünglichen Tragwerkskonzept vorgenommen. So ist das Achssystem der neuen Holzrahmenbaufassade auf die Lasteintragungspunkte des Bestandes abgestimmt. Die Steifigkeit der Fassadenriegel wurde so gewählt, dass sich ein möglichst gleichmäßiger Lasteintrag einstellte.
OB: Die Bestandsfassade wurde durch Abtrennen im Bereich der Konsolen vom Ringanker des Tragwerks gelöst und elementweise selektiv zerlegt und der Verwertung bzw. Entsorgung zugeführt. Anschließend wurde mithilfe eines 3D-Gebäudescans das Bestandsskelett aufgenommen und in die W+M-Planung des Holzbauers integriert. Die vorgefertigten Wandelemente konnten so überprüft und exakt an die Bestandskonstruktion angepasst werden. Trotz Lieferschwierigkeiten und einer ungewollten Ausführung über die Wintermonate konnte die Gebäudehülle so relativ problemlos innerhalb von nur wenigen Wochen geschlossen werden.
Gibt es erste Nutzererfahrungen zur Low-Tech-Klimatisierung mit thermischer Speichermasse und ohne aktive Kühlung oder Lüftung?
OB: Um auch langfristig einen wirtschaftlichen Betrieb mit einem geringen Technikanteil zu gewährleisten, streben wir in unseren Projekten stets passive Strategien an und schaffen dadurch mit wenig und ausgewählten Ressourcen ein hohes Maß an Komfort. Forschungsergebnisse zeigen und die Nutzer bestätigen, dass ein angemessener Glasanteil und eine dampfdiffusionsoffene Konstruktion aus sorptionsfähigen Naturbaustoffen für ein gesundes Raumklima sorgen und den Lüftungsbedarf signifikant reduzieren. Alle Räume werden natürlich be- und entlüftet. Ein durch eine zentrale Wetterstation gesteuerter außenliegender Sonnenschutz verbessert zudem den sommerlichen Wärmeschutz und macht eine aktive Kühlung obsolet. Durch die neue, hochgedämmte Gebäudehülle konnte der Endenergiebedarf des Gebäudes um über 50 % verringert werden.
Uwe Seiler ist Inhaber und Geschäftsführer von ZRS Ingenieure Berlin.
Ole Busch ist Projektarchitekt bei ZRS Architekten Berlin.
Mehr dazu auch im Jahrbuch Ingenieurbaukunst 2023.
Das 4. Symposium Ingenieurbaukunst – Design for Construction 2022 mit dem Thema: Bauen mit und im Bestand findet am 29. November 2022 im Wallraf-Richartz-Museum Köln + Online. Infos und Tickets hier auf www.ingd4c.org