Das 1969 im Dortmunder Westfalenpark errichtete Holzflächentragwerk Sonnensegel wurde nach 5 Dekaden denkmalgerecht und unter weitgehendem Substanzerhalt saniert und für eine dauerhafte Nutzung ausgelegt.
Jenseits der aus Zugänglichkeitsgründen nur teilweise möglichen Sichtprüfung: Wie konnte der Zustand der Holzbauteile vor Sanierungsbeginn festgestellt werden?
Nachdem das Sonnensegel über 50 Jahre – die letzten Jahre aus Sicherheitsgründen abgesperrt – im Westfalenpark überdauert hatte, war es ziemlich zugewachsen, die unteren Verankerungspunkte mussten auch erst einmal freigeschnitten werden. Nach der ersten Begehung wurde schnell klar, dass es die Expertise von Spezialisten braucht, um den Umfang der Schädigungen sicher abschätzen zu können. Wir konnten das Otto-Graf-Institut (FMPA) an der Universität Stuttgart dafür gewinnen. Das FMPA-Team hat anhand von Sichtprüfungen – auch an eigens dafür freigelegten Stellen unter der Abdichtung –, anhand der Untersuchung entnommener Bohrkerne, Feuchtemessungen an ausgewählten Stellen und weiterer Prüfungen den Zustand der Holzkonstruktion bewertet und konnte so den Umfang notwendiger Reparaturen definieren.
Gab es wesentliche Überraschungen?
Erst nach dem vollständigen Entfernen der Dachabdichtung konnte die gesamte Dachfläche inspiziert werden. Insbesondere an den Tiefpunkten der Sattelfläche war die Fäulnis dann doch weiter fortgeschritten als vermutet. Das hat den Umfang der Maßnahmen erhöht, war jedoch mit den vorab bereits vorgesehenen Methoden zu bewältigen.
Die Zugkraftkopplung der bis zu 60 Meter langen Brettlamellen durch geschraubte Stahllaschen statt der ursprünglichen geleimten Keilzinkenstöße ist technisch und wirtschaftlich nachvollziehbar, aber ökologisch?
Beim Verleimen auf der Baustelle muss der entsprechende Bereich geschützt und entsprechend den notwendigen kontrollierten Umgebungsbedingungen konditioniert und dafür auch eingehaust sein. Das wurde am Randträger so gemacht – dort wurde ein stark geschädigtes Brettschichtholzsegment durch Einfügen mit einem verleimten Schäftungsstoß ausgewechselt. Für die 60 mal 60 Meter große Dachfläche mit einer großen Zahl lokal zu fertigender Keilzinkenstöße war dieser Aufwand wirtschaftlich nicht machbar. In der Ökobilanz entsteht durch die Stahllaschen wegen der geringen Tonnage nur ein kleiner zusätzlicher Carbon Footprint. Dieser ist relativ gering im Vergleich zu den weiterhin erhaltenen grauen Emissionen und der Sequestrierung der gesamten Holzkonstruktion.
Wie ist die Acetylierung von Holzbauteilen zum Schutz vor Feuchtigkeit und Pilzbefall unter Umweltaspekten einzuordnen?
Acetyliertes Holz kann am Ende der Lebensdauer genau wie unbehandeltes Holz verwendet werden. Wenn keine Weiterverwendung möglich ist, wird es im Regelfall thermisch verwertet, also zur Energiegewinnung genutzt. Dabei werden – im Gegensatz zu chemisch behandelten Hölzern – keine giftigen Stoffe freigesetzt. Selbst eine Kompostierung ist möglich, die jedoch aufgrund der durch die Modifikation erhöhten Dauerhaftigkeit deutlich länger dauern wird als bei nicht modifiziertem Holz.
Da jedoch vorrangig die schnell wachsende Radiata-Kiefer, die vorwiegend in Neuseeland wächst, für die Acetylierung eingesetzt wird, ergeben sich im Vergleich zur Nutzung heimischer Hölzer zusätzliche Emissionsbelastungen durch den langen Transportweg. Diese müssen natürlich bei der Betrachtung des Treibhausgaspotenzials über alle Lebensphasen berücksichtigt werden.
Was waren die größten Herausforderungen für die Tragwerksplanung?
Es war ja nun erklärtes Ziel, möglichst viel von der ursprünglichen Substanz des Denkmals Sonnensegel zu erhalten. Das Nachvollziehen und Nachbilden des damals angelegten Lastabtrags – die Vierpunktfläche ist ja über ein Rückziehen der Hochpunkte vorgespannt – war dann doch mit etwas Nervenkitzel verbunden. Schließlich mussten ja einige Strukturelemente, die über die Jahre durch Setzen und Kriechen der Konstruktion über längere Zeit eher entlastet waren, wieder bis auf das Vorspannniveau von 1967 belastet werden.
Für welche Nutzungsdauer ist das sanierte Sonnensegel jetzt ausgelegt?
Holz hat die Eigenschaft, unter Belastung im Laufe der Zeit zu kriechen, bei langanhaltender Änderung der Umgebungsfeuchte zu quellen oder zu schwinden – aber es altert nicht. Die Materialeigenschaften ändern sich nicht im zeitlichen Verlauf, wenn die Konstruktion richtig ausgelegt ist, insbesondere hinsichtlich Feuchteschutz. Und ein sicherer konstruktiver Holzschutz ist jetzt gewährleistet und bei der frei bewitterten Holzstütze durch eine Modifikation des Holzes erreicht. Man wird die Abdichtungsebenen in regelmäßigen Intervallen anschauen, um sicherzustellen, dass das auch so bleibt. Vorausgesetzt, dass diese intakt bleiben, sehen wir keine Begrenzung der Lebensdauer.
Welche Perspektiven haben Holzrippenschalen für das heutige Bauen?
Freiformflächen aus Holz waren in den 1960er- und 70er-Jahren schon mal im ‚en vogue‘, die entstandenen Versuchsbauten, vor allem in Deutschland und den USA, zeigten schon damals das Potenzial auf. Die Mannheimer Multischale von Frei Otto und Carlfried Mutschler demonstriert, wie das geometrisch Schwierige technisch einfach machbar ist.
Holz im Freiformflächenbau wurde jedoch durch den vermeintlich modernen und effizienteren Baustoff Stahl verdrängt, vor allem durch Seilnetzkonstruktionen und Stahlgitterschalen. 20 Jahre nach dem Sonnensegel wurden die von Frei Otto entworfenen vier Produktionspavillons für Wilkhahn in Bad Münder eingeweiht, auch eine antiklastisch gekrümmte Holzschale mit Holzrippen und Bretterschalung. Auch hier ist die Herstellung der Freiformgeometrie sehr einfach mit Holz machbar.
Seitdem wir die Effizienz eines Tragwerks nicht mehr nur ausschließlich mit der eingesetzten Materialmenge gleichsetzen, sondern Emissions- und Ressourceneffizienz als wesentliche Entwurfsparameter verstanden haben, gewinnt der nachwachsende Werkstoff Holz nun auch wieder mehr an Bedeutung. Neuartige Fügetechniken und höher beanspruchbare und dauerhafte Holzwerkstoffe eröffnen uns heute sogar ein noch weiteres Feld für spannende Entwicklungen. Wir sind uns sicher, dies wird zu einer Renaissance der Holz-Freiformkonstruktionen führen, an der wir gerne mitwirken.
Thorsten Helbig ist Gründungspartner des Ingenieurbüros knippershelbig in Stuttgart, Berlin und New York sowie Professor für Tragwerkslehre, Baustoffkunde und konstruktives Entwerfen an der Hochschule Darmstadt und Associate Professor an der Irwin S. Chanin School of Architecture an der Cooper Union, New York.
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