28. November 2024, Ernst-Reuter-Haus Berlin + Online
Das 6. Symposium Ingenieurbaukunst hatte klimagerechte und zuverlässige Infrastrukturen zum Thema. Moderator und nbau Chefredakteur Bernhard Hauke sagte zu Beginn, dass neben Sicherheit und Erhalt der in die Jahre gekommenen Infrastrukturen unseres Landes auch hier Nachhaltigkeitsaspekte eine immer größere Rolle spielen. Basierend auf Essays und Projekten aus dem neuen Jahrbuch Ingenieurbaukunst will das Symposium #6_IngD4C diese Themen diskutieren.
In der Einführung betonte Tim Lorenz, Vizepräsident Infrastruktur des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie die volkswirtschaftliche Bedeutung einer intakten Infrastruktur für den Wirtschaftsstandort Deutschland, welche gleichzeitig jedoch klimagerecht gebaut und instandgehalten werden müsse. Als Ingenieur vertraue er dabei einem mathematischen Ansatz: Dinge wie Treibhausgasemissionen über den Lebenszyklus messen und optimieren. Wobei digitale Modelle sehr hilfreich seien.
Johanna Ruge, Oliver Andre Wege und Celina Hunschok vom Attitude Building Collective, einer Gruppe von jungen Bauschaffenden mit dem Ziel einer nachhaltigen Bauwende, stellte dann ihr Konzept für einen zusätzlichen Grenzzustand der Klimaverträglichkeit vor, bei welchem die Einwirkungen aus baulichen Aktivitäten immer kleiner sein müssen als die planetaren Grenzen der Erde. Dies müsse auf einem neuen Wertefundament geschehen, welches ökologische und soziale Aspekte in den Mittelpunkt rücke. In der Diskussion mit Max Dölling von der Werner Sobek AG und Florian Foerster von Buro Happold wurde ergänzt, dass wir mehr Wissen zu planetaren Grenzen und insbesondere Nachhaltigkeitsbilanzierung in unserer Branche benötigen, so dass nachhaltig Bauen wirklich gelebte Baupraxis wird. Dafür müssen sich Firmen und Ingenieur:innen noch viel stärker am gesellschaftlichen Diskurs dazu beteiligen.
Christoph Begemann von der LPI Ingenieurgesellschaft ging dann zu Beginn des ersten Themenblocks Nachhaltiges Planen und Bauen im Ingenieurbau auf aktuelle Entwicklungen und Chancen ein. Er zeigte sich entwickelnde, projektspezifische Methoden zur Nachhaltigkeitsbewertung im Ingenieurbau am Beispiel der U4-Verlängerung Frankfurt auf. Danach erläuterte Jana Nowak von knippershelbig das Holzbau-Parkhaus Wendlingen mit reversiblen Verbindungen. Bereits bei der Planung müssten Umnutzung und Rückbau bedacht werden. In der Diskussion mit Ronny Glaser von INROS LACKNER und Hans-Jürgen Krause von Kempen Krause Ingenieure hieß es, dass auch die Ausschreibungen für Infrastrukturbauwerke Nachhaltigkeitsthemen beinhalten müssten, dabei deutlich mehr CO2-Anreize erforderlich seien, wir aber proaktiv bereits jetzt handeln können.
Im zweiten Themenblock Was bewirkt Digitalisierung? zeigten Nils Schluckebier von Schüßler-Plan und Julia Middendorf von WTM Engineers Digitalisierungsstrategien für mehr Klimaschutz bei der U5 Hamburg auf. Mit digitalen Modellen der komplexen Bauwerke könnten Prozesse optimiert, Materialverbrauch gesenkt und in Summer CO2-Emissionen etc. minimiert werden. Nachfolgend erläuterte Adam Orlinski von Bollinger+Grohmann die parametrische Optimierung von Hochspannungsmasten mit besonderem Design. In der Diskussion mit Sven Tešanović von W&F Ingenieurbau und Dirk Münzner von BuP. Boll wurde festgehalten, dass die Digitalisierung eine wichtige Voraussetzung für eine umfassende Dekarbonisierung sei. Aber nur mit umfassender Kooperation seien auch die erforderlichen Daten verfügbar, die zunehmend mit KI ausgewertet und genutzt würden.
Der dritte Themenblock Erhalten und Sanieren startete mit Stefan Nübler von LAP über Erhaltungsstrategien für Brückenbauwerke, die auf Bauwerksprüfung, fortgeschrittenen Tragwerksanalysen sowie Verstärkungsmaßnahmen und Monitoring basierten. Danach ging Uwe Heiland von SEH Engineering auf die Sanierung der Neuen Strombrücke Magdeburg ein und kritisierte die vorgezogene Ausführungsplanung ohne Einbeziehung der Baufirma, welche dann jedoch die Verantwortung übernehmen solle. In der Diskussion mit Michael Weizenegger von SSF Ingenieure und Alexander Schumann von Carbocon wurde kritisiert, dass Bestandserhalt statt Ersatzneubau anspruchsvoller sei und auch die Planer oft sehr spät einbezogen würden. Innovative Verstärkungsmaßnahmen wie Carbonbeton bei der Hyparschale Magdeburg könnten auch ohne normative Regelungen eingesetzt werden.
Im vierten Themenblock Kosten, Bauablauf & Klimaschutz ging Matthias Müller vom KIT auf die ganzheitliche Bewertung von Bau und Betrieb von Straßen und Brücken ein. Für die betrachteten Beispiele überstiegen die externer Effekte (Kosten und CO2) die Bauwerksbezogenen um ein Vielfaches, so dass sich hier schnell bauen oft besonders lohnt. Jacqueline Donner von GRASSL Ingenieure zeigte dann anhand der Mangfallbrücke Rosenheim verschiedene Wechselwirkungen zwischen Planung und Bauablauf sowie Kosten und Klimaschutz auf. In der Diskussion Niklot von Bülow von Ed. Züblin und Wolfgang Schmidt von Hochtief Infrastructure wurde verdeutlicht, dass gerade bei Brücken schnelles Handeln oft maßgeblich sei und Nachhaltigkeit dann das Nachsehen habe. Der Einsatz von 60% CO2-reduziertem Beton wie beim EDGE East Side Tower oder von emissionsarmem Stahl sei bei Infrastrukturprojekten auch möglich.
Die Schlussdiskussion Klimagerechte und zuverlässige Infrastrukturen startete mit einer afrikanischen Perspektive von Mike Schlaich von der TU Berlin, der darauf hinwies, dass dort in den kommenden Dekaden noch sehr viel Infrastruktur für eine wachsende Bevölkerung gebaut werden müsse und möglichst nicht die gleichen Fehler wie in Europa gemacht werden sollten. Zusammen mit Tim Lorenz diskutierten dann auch Heinrich Bökamp, Präsident Bundesingenieurkammer und Reiner Nagel, Vorstand Bundesstiftung Baukultur. Mehr Kopf bedeutet weniger Material und CO2 und letztlich auch mehr Nachhaltigkeit. Dafür müssen sich Bauingenieur:innen mehr auch politisch engagieren. Bauherren brauchen vergleichbare Kompetenz wie Planende und Ausführende, um richtige und mutige Entscheidungen treffen zu können. Unsere Infrastruktur müssen wir pflegen und rechtzeitig erhalten, um langfristig die Kosten zu senken. Effizienz darf kein Gegensatz zu Schönheit sein. Für klimagerechte und zuverlässige Infrastrukturen brauchen wir Zusammenarbeit, Mut, Innovationen und Pragmatismus.
Das 7. Symposium Ingenieurbaukunst – Design for Construction findet im November 2025 zu Ingenieurbaukunst der Stadt in Hamburg + Online statt. Mehr demnächst unter www.ingd4c.org.
Fotocredit: Stefan Hähnel