Am 18. November 2021 fand im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt/Main das 3. Symposium Ingenieurbaukunst – Design for Construction (#3 IngD4C) zum Thema „Wie bauen wir zirkulär?“ statt, das auf Diskurs und Projektberichten im zeitgleich erscheinenden Jahrbuch Ingenieurbaukunst 2022 beruht. Der langjährige Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung und jetzige Vorstand der Stiftung Nachhaltigkeitspreis Prof. Günther Bachmann forderte in seinem Eingangsstatement „Die Zukunftsformel heißt Zirkularität“ Pflichtvorgaben zum Einsatz von Rezyklaten, um Baumaterialien im Kreislauf zu führen. Gleichzeitig zeigte er sich überzeugt, dass funktionale Infrastrukturbauten – wenn sie die Kreislaufidee verkörpern – Landmarken der Klimaneutralität sein können.
Zirkuläres Bauen
Im ersten Themenschwerpunkt „Zirkuläres Bauen” planen stellte Prof. Patrick Teuffel (TU Eindhoven) Möglichkeiten zur Ressourcenerhaltung bei Tragwerken vor. Am einfachsten ist die Wiederverwendung von tragenden Bauteilen in einem neuen Tragwerk; kontrollierter Rückbau und datenbankgestützte Kartierung sind Voraussetzung. Weiter werden biobasierte Baustoffe aus Flachs- und Hanffasern für kleine, vorgefertigte Brücken gezeigt. Boris Peter (knippershelbig) stellte anschließend die ressourcenschonende und zirkuläre Bauweise für einen Supermarkt der Zukunft vor. Es werden Stützen im Verkaufsraum zugelassen und Vollholzbalken zu Pilzstützen gestapelt. Noch einen Schritt weiter ist Jannika Erichsen (sbp) beim WM-Stadion in Katar gegangen: See-Container werden in Regalen übereinandergestapelt, so dass Rückbau und Wiederverwendung ganzer Raummodule möglich werden.
In der anschließenden Diskussion besteht Einigkeit, dass viele Konzepte und Technologien für zirkuläres Bauen vorhanden sind, es aber beim Willen zur Umsetzung fehlt. Hier sei Initiative der Ingenieur:innen mit technischem Wissen gefragt. Boris Peter erklärt, dass insbesondere einfache Konstruktionen, die gefügt und wieder demontiert werden können, zu den Ingenieursaufgaben zählen. Hier seien besonders die Hochschulen in der Verantwortung. Jannika Erichsen ergänzt, dass auch viele der in der Praxis tätigen Ingenieure noch Nachholbedarf hätten und sich in Stuttgart ein „Stammtisch“ junger Ingenieur:innen zum fachlichen Austausch gebildet hat. Patrick Teuffel betont, dass biobasierte Baustoffe noch intensiver Forschung bedürfen, bis sie konkurrenzfähig sein werden. Rob Ikink (Zinq) unterstreicht, dass für zirkuläre Prozesse die Fertigungsmethoden neu gedacht werden müssen.
Keep it in the loop
Der zweite Themenblock „Keep it in the loop” begann mit der Vorstellung eines neuen Ansatzes zur Wiederverwendung von Bauteilen durch Prof. Harald Kloft (TU Braunschweig) und Prof. Oliver Tessmann (TU Darmstadt), die über kombinatorische Algorithmen vorhandene Altbauteile unabhängig davon entwickelten neuen Entwürfen zuordnen. Danach Stellten Dr. Alexander Henschel (Tragraum Ingenieure) und Prof. Angelika Mettke (BTU Cottbus) die Umweltstation Würzburg vor, bei deren Bau Recyclingbeton zum Einsatz kam. Über die gelösten bautechnischen Fragestellungen hinaus wurden Aspekte wie regionale Verfügbarkeit, Naturraumerhaltung und Deopnievermeidung angeführt.
In der nachfolgenden Diskussion bemängelt Alexander Henschel die noch fehlende gesellschaftliche Anerkennung für das Bauen mit „gebrauchten“ Materialien. Dr. Christine Lemaitre (DGNB) macht dafür das marktwirtschaftliche Credo des Wachstums mit verantwortlich und fordert den Neubau zur Ausnahme zu machen. Harald Kloft erläuterte anschließend, dass die Bestandserfassung den vermehrten Einsatz digitaler Methoden erfordere, insbesondere zur statischen Bewertung. Oliver Tessmann ergänzte, dass Planen grundsätzlich neu gedacht werden müsse mit Bauteilen, die schon da sind. Für Angelika Mettke ist der Rohstoffmangel ein wichtiges Thema und lokale, zirkuläre Wertstoffkreisläufe die Lösung dafür. Annabelle von Reutern (Concular) warb ebenso dafür regionale Bauprodukte zur Wiederverwendung zu nutzen sowie Graue Energie und Transportwege über die Ökobilanz transparent zu machen.
Bauen mit dem Klimawandel
Das dritte Thema „Bauen mit dem Klimawandel” läutete Dr. Marc-Steffen Fahrion (Werner Sobek AG) mit einer Betrachtung zum klimaangepassten Bauen und Gründächern ein, bei der er auch für die Berücksichtigung der grauen Energie der Konstruktion warb. Nachfolgend zeigte Prof. Martin Stumpf (wh-p) an der BSZN-Mensa Darmstadt die Optimierung von Tragwerken auf: Der Holzträgerrost hat durch zusätzliche Stützen geringere Spannweiten. Es müssen nicht immer neue und komplexere Bauweisen entwickelt werden, oft kann mit bewährte, aber aus der Mode gekommenen Konstruktionen, ressourcenschonend gebaut werden.
Die Diskussion eröffnete Prof. Lamia Messari-Becker (Uni Siegen, Club of Rome), die feststellt, dass der Gebäudesektor immer mehr in den Fokus der Klimawandel-Diskussion rückt und fordert, die vielen guten Ingenieur-Ideen in die Öffentlichkeit zu tragen. Marc-Steffen Fahrion und Lamia Messari-Becker sind sich einig, dass Biodiversität auch in den Siedlungsräumen wichtig sind. Allerdings seien die Fördersysteme unzureichend, weil graue Energie, die Effizienz von Baukonstruktionen oder die Rückbaufähigkeit kaum berücksichtigt würden. Martin Stumpf möchte hier nicht auf die Politik warten, sondern als Ingenieur selber tätig zu werden.
Möglichmacher Digitalisierung
Der vierte Block „Möglichmacher Digitalisierung” begann mit Dr. Michael A. Kraus (ETH Zürich), der über digitale Transformation und Künstliche Intelligenz für die Baupraxis sprach und hier weniger eine Disruption, sondern vielmehr eine lange Entwicklungslinie von der CAD bis zu Generativem Design und KI sieht. Wichtigster Punkt ist aktuelle die Verfügbarkeit von zuverlässigen Daten, insbesondere im Bauwesen mit seinen Einzelprojekten. Anschließend erläuterte Katrin Lünser (LAP) am Beispiel von Sanierung und Umbau des Jüdischen Museums Frankfurt die Vorzüge digitaler Planungsprozesse als Lösungsweg für komplexe Planungsaufgaben. In der Diskussion ergänzt Marcel Burger (W&M Ingenieurbau), dass bei Baulogistik und Vermessung digitale Werkzeuge schon Standard sind und sich damit auch im Bauablauf viele Fehler vermeiden lassen. Michael Kraus fügt hinzu, dass KI noch einen Schritt weiter geht, Muster erkennen und damit z.B. Voraussagen zur Prüfung ähnlicher Bauteile treffen kann. Katrin Lünser betont, dass trotz BIM und KI Kompetenz und Erfahrung der Ingenieur:innen immer gebraucht werden. Prof. Klaus Bollinger (Bollinger+Grohmann), einer der Parametrik-Pioniere, berichtet, dass anfänglich geometrische Fragestellungen im Mittelpunkt standen, heute aber materialsparende und ressourcenoptimierte Tragwerke mit Betrachtung des gesamten Lebenszyklus mittels parametrischer Planungsmethoden möglich sind und Themen wie Rückbau und Wiederverwendung als neue Aspekte hinzukommen. Michael Kraus fordert, an den Hochschulen bauliches Fachwissen stärker mit Informatik und Statistik zu kombinieren, Lehre und Forschung interdisziplinärer zu denken.
Wie bauen wir zirkulär?
Abschließend diskutierte Initiator und Moderator Dr. Bernhard Hauke (Ernst & Sohn) mit Lamia Messari-Becker, Prof. Jan Wörner (Präsident acatech), Thomas Pätzold (Vors. Umweltausschuss HDB, W&F Ingenieurbau) und Wilhelmina Katzschmann (Vorst. BIngK, Vizepräsidentin IK RLP) die Frage: „Wie bauen wir zirkulär?” Jan Wörner plädiert dafür, Wissenschaft und Wirtschaft zusammenzubringen. Thomas Pätzold greift das gerne auf und fordert, dass wir als Baubranche sehr viel mehr gemeinsam Werbung für zirkuläres Bauen machen, dafür aber das komplexe Thema in einfachen Worten erklären müssen. Lamia Messari-Becker sieht Kreislaufwirtschaft als Teil einer europäischen Rohstoffpolitik. Wilhelmina Katzschmann gibt zu bedenken, dass neue Bauprodukte meistens noch günstiger sind und sich Zirkularität deshalb bisher vordergründig nicht lohnt. Pätzold und Messari-Becker argumentieren daraufhin, dass Normen und Vergabekriterien angepasst werden sollten. Katzschmann will hier auch Haftung und Vergütung der Ingenieur:innen einbeziehen. Jan Wörner redet einem Kulturwandel das Wort: „Zirkuläres Bauen ist cool.” Thomas Pätzold sieht hier die Bauwirtschaft an der Seite der Ingenieur:innen.
Alle Essays und Projektberichte sind nachzulesen im neuen Jahrbuch Ingenieurbaukunst 2022. Das 4. Symposium Ingenieurbaukunst (#4_IngD4C) findet im November 2022 in Köln statt, Thema ist „Bauen im und mit dem Bestand”.